Wilhelm Mauß: Der Grenzgang zu Biedenkopf

Von dem Autor Wil­helm Mauß ist bekannt, dass er Foto­graf und Hei­mat­kund­ler war, 1865 in Ben­ne­cken­stein im Harz gebo­ren wur­de und 1938 in Marburg/Lahn ver­starb.

Die Illus­tra­ti­on ist von Otto Ubbe­loh­de (1867–1922).

Der Grenzgang zu Biedenkopf

Ein altes historisches Fest, geschildert von Wilhelm Mauß

Erst­ver­öf­fent­li­chung: Bie­den­kopf 1907, Ver­lag von Max Ste­pha­ni

Freund­li­cher Leser! Wenn es dir Ver­gnü­gen macht, ein­mal unse­re Volks­see­le in ihrer Ursprüng­lich­keit ken­nen zu ler­nen, so grei­fe zum Sta­be und wan­de­re mit mir in’s hes­si­sche Berg­land; ich will dir ein poe­sie­um­wo­be­nes Volks­fest zei­gen, das in sei­ner Eigen­ar­tig­keit in unse­rem Vater­lan­de sel­ten zu fin­den ist. Zufrie­den wirst du gewiß wie­der von dan­nen zie­hen und für dei­ne Mühen wirst du voll­auf Beloh­nung fin­den.

Von Mar­burg, der alten Musen­stadt, 30 Kilo­me­ter nord­west­lich im sogen. Hin­ter­lan­de liegt das preu­ßi­sche Kreis­städt­chen Bie­den­kopf. Sto­ßen wir uns nicht an das Wort „Hin­ter­land“. Der Name stammt aus darm­hes­si­scher Zeit und hat für unse­re Tage kei­ne Bedeu­tung mehr. Gewiß kom­men wir in stil­le Täler, aber die Kul­tur hat auch die­sen abge­le­ge­nen Gegen­den ihren Stem­pel auf­ge­drückt wie auf ande­re Tei­le unse­res Vater­lan­des. Wir ver­las­sen die Bahn Marburg–Creuzthal auf der Sta­ti­on Wil­helms­hüt­te und wan­dern zu Fuß am Wal­dessaum ent­lang auf Bie­den­kopf los. Auf der Höhe beim neu­en Schüt­zen­haus machen wir Halt, denn vor uns liegt in ent­zü­cken­der male­ri­scher Lage die Stadt. Umge­ben von einer Rei­he hoher Berg­kup­pen, steigt aus dem Lahn­tal­kes­sel der Schloß­berg steil empor. Die Spit­ze krönt das alte, aus dem 13. Jahr­hun­dert stam­men­de Schloß. An dem Schloß­berg ange­klebt wie ein Schwal­ben­nest liegt die alte Stadt, wäh­rend die neu­en Stadt­tei­le sich mehr in’s Tal hin­stre­cken. Wie ein Sil­ber­fa­den schlän­gelt sich die Lahn vom Wes­ten kom­mend an der Stadt vor­bei, den eigen­ar­ti­gen Reiz der Lage noch erhö­hend. Wir ver­sen­ken uns eine Wei­le in den Anblick die­ses schö­nen Fleck­chens Erde, schrei­ten aber dann rüs­tig vor­wärts auf unser Ziel los. Durch einen schat­ti­gen Laub­weg am Alten­berg ent­lang kom­men wir über die Lahn­brü­cke zur Stadt. Unser Fuß betritt heu­te eine Stadt im fest­li­chen Gewan­de.

Alle Häu­ser sind geschmückt mit fri­schem Tan­nen­grün, Blu­men und Laub­werk; Guir­lan­den, mit Inschrif­ten geziert, zie­hen sich an Stra­ßen­über­gän­gen von Haus zu Haus und dazwi­schen wehen aus den Fens­tern und von den Dächern Fah­nen und Flag­gen, um den Schmuck zu ver­voll­stän­di­gen. Auf dem Markt­plat­ze ste­hen Kopf an Kopf in fest­li­chen Gewän­dern die Bür­ger in ein­zel­nen Abtei­lun­gen um ihrer Fah­nen geschaart und mit Füh­rern an der Spit­ze. Hier und da tau­chen in schmu­cker Klei­dung Rei­ter auf, die die Ver­mu­tung auf­drän­gen, daß es obe­re Füh­rer sind.

Da plötz­lich stiebt die zuschau­en­de Men­ge aus­ein­an­der, ein Mohr, ein leib­haf­ti­ger Mohr, anzu­schau­en wie einst der krie­ge­ri­sche Othel­lo von Vene­dig, erscheint und setzt alles in Bewe­gung; doch zum Nach­den­ken ist nicht viel Zeit, denn schon wird das Auge von Neu­em wie­der gefes­selt. Zwei Leu­te in bun­ter auf­fal­len­der Beklei­dung jagen an uns unter lau­tem Peit­schen­knal­len vor­über und ver­schwin­den eben­so rasch wie sie gekom­men, um ander­wärts eben­so wie­der auf­zu­tau­chen. Fra­gen wir nun erstaunt, was hier los ist, so erhal­ten wir die stol­ze Ant­wort: „Wir haben Grenz­gang!“

Um den Grenz­gang rich­tig zu ver­ste­hen, muß man ech­ter Bie­den­köp­fer und mit Lahn­was­ser getauft sein. Ein Frem­der, und wenn er noch so lan­ge Jah­re in der Stadt weilt, wird nie­mals mit der Hin­ga­be und inners­ten Begeis­te­rung das unter obi­gem Namen bezeich­ne­te Fest mit­fei­ern kön­nen. Wenn der Bie­den­köp­fer den Namen nur hört, so schlägt ihm das Herz höher und er wird freu­di­ger gestimmt, denn das seit Jahr­hun­der­ten gefei­er­te Grenz­gangs­fest ist ihm fast zu Fleisch und Blut gewor­den. Selbst die, wel­che die hei­mat­li­che Schol­le längst ver­las­sen und drau­ßen im gro­ßen Vater­lan­de irgend­wo wei­len, oder drü­ben über dem atlan­ti­schen Was­ser eine neue Hei­mat sich begrün­det und längst Sit­ten und Gebräu­che der neu­en Umge­bung ange­nom­men haben, wer­den von tie­fem sehn­süch­ti­gem Heim­weh erfüllt, wenn sie aus der alten Hei­mat erfah­ren, daß wie­der ein­mal ein Grenz­gangs­jahr gekom­men ist. Wer es irgend mög­lich machen kann, scheut kein Opfer und kei­ne Kos­ten, um dem Grenz­gang, der die Jugend­er­in­ne­run­gen auf­frischt und neue unaus­lösch­li­che Ein­drü­cke zurück­läßt, bei­zu­woh­nen.

Die Bedeu­tung des Fes­tes liegt ja in dem Wor­te selbst. In gewis­sen Zeit­ab­schnit­ten, gewöhn­lich in der letz­ten Hälf­te des August, jetzt alle sie­ben Jah­re, frü­her alle neun Jah­re und noch frü­her soll es gar jedes drit­te Jahr gewe­sen sein, begeht die gesam­te männ­li­che Ein­woh­ner­schaft in orga­ni­sier­ten Grup­pen die Gemar­kungs­gren­ze, um auf­zu­hau­en, wo es not­wen­dig ist, oder die pri­mi­ti­ven Grenz­zei­chen zu ord­nen, wo das Bedürf­nis sich zeigt. In frü­he­ren Jahr­hun­der­ten, wo die Ein­rich­tun­gen in Staat und Gemein­de noch in den Win­deln lagen, war die öfte­re Grenz­be­ge­hung gera­de­zu eine zwin­gen­de Not­wen­dig­keit, denn die Lini­en zwi­schen Recht und Unrecht waren nicht all­zu­scharf gezo­gen und die Begrif­fe über Mein und Dein waren meist recht ver­wor­ren. Mit dem Fort­schrei­ten der Kul­tur und der Durch­füh­rung gere­gel­ter Gesetz­ge­bung, beson­ders aber durch die in der zwei­ten Hälf­te der vori­gen Jahr­hun­derts von der hes­si­schen Regie­rung vor­ge­nom­me­ne Ver­mes­sung des Lan­des und die Set­zung von Grenz­stei­nen ver­lor der Grenz­gang sei­ne ursprüng­lich prak­ti­sche Bedeu­tung und ent­wi­ckel­te sich nach und nach zu dem, was er heu­te ist, zu einem Volks­fes­te im wah­ren Sin­ne des Wor­tes, wo nur noch sym­bo­lisch sei­ne alte Not­wen­dig­keit ange­deu­tet wird.

Wie alt der Grenz­gang ist, dar­über gehen die Mei­nun­gen in der Bür­ger­schaft recht weit aus­ein­an­der. Wel­che behaup­ten, er sei schon seit dem 13. Jahr­hun­dert gebräuch­lich, ande­re wie­der mei­nen, er sei im Anfang des 16. Jahr­hun­derts auf­ge­kom­men; etli­che sind sogar der Ansicht, daß der Grenz­gang nicht älter wie 150 Jah­re sei. Letz­te­re Mei­nung ist jeden­falls falsch, denn ers­tens war man vor 150 Jah­ren in kul­tu­rel­ler Bezie­hung schon so weit vor­ge­schrit­ten, daß man schwer­lich zu einem sol­chen Mit­tel, um sein Eigen­tum zu wah­ren, Zuflucht zu neh­men brauch­te, und zwei­tens sind uns in einer dan­kens­wer­ten Abhand­lung, wel­che im „Hin­ter­län­der Anzei­ger“ erschien, Pro­to­kol­le aus dem 17. und 18. Jahr­hun­dert bekannt gege­ben, wor­in der Grenz­gang bereits ein altes Her­kom­men genannt wird. Auch die zwei­te Ansicht ist unwahr­schein­lich und ist viel­leicht irr­tüm­lich ent­stan­den durch eine vom ver­stor­be­nen Land­ge­richts­rat Bork in oben genann­tem Blat­te 1875 ver­öf­fent­lich­te Novel­le. Die­sel­be läßt er im Refor­ma­ti­ons­zeit­al­ter spie­len und hat dar­in dem Grenz­gang einen ganz beson­de­ren Platz ange­wie­sen. Da lei­der kei­ne frü­he­ren Urkun­den vor­han­den sind, so ist ja das Strei­ten über die­se Fra­ge des Alters recht müßig, doch trifft man mög­li­cher­wei­se den Nagel auf den Kopf, wenn man die ers­te­re Mei­nung als die wahr­schein­li­che­re annimmt. Nach der Zeit, wo das gro­ße Kai­ser­ge­schlecht der Stau­fen im Kamp­fe gegen Papst­tum und Par­ti­ku­la­ris­mus der deut­schen Fürs­ten unter­le­gen war, herrsch­te in ganz Deutsch­land die wil­des­te Anar­chie und das Faust­recht war der allei­ni­ge Regent. In die­ser Not ent­stan­den zum gegen­sei­ti­gen Schut­ze über­all Städ­te­bünd­nis­se und vor allen die spä­ter so berühm­te und gefürch­te­te Han­sa. Auch unse­re Stadt wird in die­ser Zeit genö­tigt gewe­sen sein, zur Selbst­hil­fe sei­ne Zuflucht zu neh­men, um sei­ne Gren­zen gegen raub­lus­ti­ge Nach­barn zu schüt­zen. Es ist der­halb­en durch­aus nicht phan­tas­tisch zu nen­nen, wenn man die Wie­ge des Grenz­gangs in die­ser „kai­ser­lo­sen und schreck­li­chen Zeit“ sucht.

In wel­cher Wei­se in frü­he­rer Zeit der Grenz­gang vor sich ging, auch dar­über ist das auf­klä­ren­de Mate­ri­al recht dünn. Ueber man­ches Inter­es­san­te gibt uns ja die erwähn­te Abhand­lung Auf­schluß, aber sich ein gan­zes abge­schlos­se­nes Bild zu machen, ist lei­der nicht mög­lich. Von alten Bie­den­köp­fern kann man ja über die Grenz­gän­ge des letz­ten Jahr­hun­derts, wenigs­ten bis in die drei­ßi­ger Jah­re hin­ein, erfah­ren; über­rascht wird man da jedoch sein, zu hören, wie gro­ße Ver­än­de­run­gen mit den­sel­ben in der ver­hält­nis­mä­ßig kur­zen Zeit vor sich gegan­gen sind. Vie­le Gebräu­che sind ganz ver­schwun­den und ande­re wer­den nur noch ange­deu­tet. So zum Bei­spiel sind noch 1857 die Bur­schen mit Kit­teln ange­tan und mit Aex­ten bewaff­net, über die Gren­ze gezo­gen, um eigen­hän­dig auf­zu­hau­en. Heu­te wird die­ser Brauch nur noch ange­deu­tet durch zwei dem Zug vor­aus­schrei­ten­de Sap­peu­re. Auch blieb man frü­her den gan­zen Tag drau­ßen im Wal­de; die Frau­en und Mäd­chen zogen dann am Mit­tag hin­aus, um den Ihren Essen zu brin­gen und sich dann in Got­tes frei­er Natur durch Tanz und Sang mit dem stär­ke­ren Geschlech­te zu amü­sie­ren. Die­se Sit­te ist auch ver­schwun­den und so dürf­te es mit man­cher ande­ren in frü­he­ren Zei­ten eben­falls gegan­gen sein.

Trotz der tief ein­ge­wur­zel­ten Anhäng­lich­keit der Bevöl­ke­rung an den Grenz­gang gab es doch nach 1872 eine Peri­ode, wo man all­ge­mein annahm, daß das Alt­ehr­wür­di­ge ein Opfer des nivel­lie­ren­den Zeit­geis­tes wer­den und in das Meer der Ver­ges­sen­heit sich sen­ken wür­de.

Da tra­ten 1886 eine Anzahl von Bür­gern zusam­men mit dem Zwe­cke, den schon zu den Tod­ten Gezähl­ten wie­der auf­zu­we­cken, es bil­de­te sich rasch ein Komi­tee und die­sem gelang es unter rast­los ener­gi­schem Han­deln, die Grenz­gangs­sa­che wie­der in Fluß zu brin­gen. Was für Fra­gen zu lösen und was für Schwie­rig­kei­ten zu über­win­den waren, ist noch in aller Erin­ne­rung, aber ein glän­zen­der Erfolg lohn­te das Bemü­hen der Män­ner von damals. Nach dem Grenz­gang 1886 bil­de­te sich ein soge­nann­ter „Grenz­gangs­ver­ein“ mit dem Zwe­cke, das Inter­es­se für das alte Fest bei den Bür­gern wach zu hal­ten und vor allem Gel­der zu schaf­fen, wel­che die Fei­er des nächs­ten Grenz­gangs erleich­ter­ten. Daß die Betei­li­gung eine rege war, bewies die statt­li­che Sum­me, wel­che im Lau­fe der Jah­re zusam­men­ge­bracht wur­de. Dem Grenz­gangs­ver­ein ist es wohl in ers­ter Linie zu dan­ken, daß das Inter­es­se an dem Fest bis heu­te erhal­ten geblie­ben ist und die letz­ten Grenz­gän­ge in alter Wei­se zu stan­de gekom­men sind.

Und nun, auf­merk­sa­mer Leser, jetzt will ich ein­mal zu schil­dern ver­su­chen, wie der Grenz­gang in neue­rer Zeit gefei­ert wird und dann stei­ge mit mir über die Gren­ze und du wirst in Wirk­lich­keit erle­ben, wie schön sich alles voll­zieht.

Ver­wei­len wir nun etwas län­ger bei den Vor­be­rei­tun­gen.

Das Komi­tee erläßt zunächst einen Auf­ruf zur Bil­dung von Bur­schen­schaf­ten. Die Bur­schen­schaf­ten sind die geschlos­se­nen Ver­ei­ni­gun­gen der jun­gen, selbst­ver­ständ­lich unver­hei­ra­te­ten Leu­te und bil­den gewis­ser­ma­ßen die fest orga­ni­sier­te Mas­se im Fest. Meist ent­ste­hen sel­be in den alten Bur­schen­schafts­lo­ka­len, wo noch die Fah­nen vor­han­den sind und es neh­men gemein­hin die Ueb­rig­ge­blie­be­nen vom letz­ten Grenz­gang die Sache in die Hand, um die Wie­der­auf­rich­tung der Bur­schen­schaft zu erstre­ben und Bur­schen zum Bei­tritt zu wer­ben. Aber auch neue erschei­nen auf der Bild­flä­che mit ansehn­li­cher Mit­glie­der­zahl, denn jede Bur­schen­schaft ist bemüht, so stark wie mög­lich auf­zu­tre­ten.

Die ers­ten Sit­zun­gen wer­den meist aus­ge­füllt mit Wah­len; da muß der Rech­ner und Schrift­füh­rer gewählt wer­den, sowie auch der Fah­nen­trä­ger und sei­ne Beglei­ter. Haupt­säch­lich aber sind es die Füh­rer­wah­len, die am meis­ten Inter­es­se erre­gen, denn es ist eine beson­de­re Ehre, zum Füh­rer gekürt zu wer­den. Auf je 20 Bur­schen unge­fähr ent­fällt ein Füh­rer, doch kann sich eine Bur­schen­schaft auch mehr als die ihr zukom­men­de Anzahl leis­ten, jedoch haben die Ueber­zäh­li­gen kei­ne Stim­men in den Füh­rer­sit­zun­gen.

Daß es bei der Anzahl von jun­gen Leu­ten größ­ten­teils lus­tig und aus­ge­las­sen her­geht, ist wohl leicht begreif­lich; wird es zu bunt, so greift der 1. Füh­rer zu den Straf­pa­ra­gra­phen und ver­don­nert den Stö­ren­fried zu einem Quan­tum Bier, denn wohl­ge­merkt, nur mit Bier wird bestraft. Treibt es jedoch ein Bur­sche zu stark, so kann ihm blü­hen, daß er voll­stän­dig aus­ge­schlos­sen wird und dann mag er wäh­rend des Fes­tes hin­ter dem Ofen sit­zen; denn wer ein­mal von einer Bur­schen­schaft aus­ge­schlos­sen ist, darf in kei­ner ande­ren wie­der auf­ge­nom­men wer­den, es sei denn, daß der Bur­schen­oberst Gna­de für Recht erge­hen läßt.

Sind die Füh­rer über­all gewählt, so ruft das Komi­tee sel­be zu einer gemein­schaft­li­chen Sit­zung zusam­men, um den Bur­schen­oberst, Bur­schen­haupt­mann und die bei­den Wett­läu­fer zu wäh­len. Der Bur­schen­oberst ist die vor­nehms­te Per­son der Bur­schen, er führt das Kom­man­do über sämt­li­che Bur­schen­schaf­ten, lei­tet die Füh­rer- und Rei­ter­sit­zun­gen und hat das Recht, in jeder Ver­samm­lung zu erschei­nen. Sei­nen, sowie auch den Anord­nun­gen sei­nes Ver­tre­ters, des Bur­schen­haupt­manns, müs­sen über­all Fol­ge geleis­tet wer­den. Man kann sich leicht den­ken, daß bei­de Pos­ten recht begeh­rens­wert sind und es wer­den auch nur ange­se­he­ne und respek­ta­ble Leu­te hier­zu aus­ge­wählt. Ueb­ri­gens ist es durch­aus nicht leicht, ohne Anstoß mit soviel jun­gem Blut fer­tig zu wer­den und der­halb­en müs­sen bei­de Genann­te auch takt­vol­le Per­so­nen sein. Bur­schen­oberst und Bur­schen­haupt­mann wäh­len sodann ihre Adju­tan­ten. Die­ser einen aus den Füh­rern und jener zwei aus den Offi­zie­ren. Die Offi­zie­re oder Rei­ter wer­den nicht wie die Füh­rer gewählt, son­dern jeder sich frei­wil­lig Mel­den­de ist hier­zu ange­nehm, denn meist ist doch immer Not am Mann. Zudem ist es nicht jeder­manns Sache, ein Pferd zu bestei­gen und dann ist die Rei­te­rei auch mit ziem­li­chen Geld­kos­ten ver­knüpft.

Der Bur­schen­oberst ruft, nach­dem die Rei­ter und Füh­rer voll­zäh­lig sind, sel­be zu den gemein­schaft­li­chen Sit­zun­gen zusam­men. Hier han­delt es sich meist um die Beklei­dungs­fra­gen. Bei den letz­ten Grenz­gän­gen tru­gen die Rei­ter dun­kel­blaue Jop­pe, hell­graue Bein­klei­der und hell­blaue Schär­pe. Der Hut war dun­kel­grün mit wei­ßer Strauß­fe­der. Der Oberst und sei­ne Adju­tan­ten tru­gen als Rang­ab­zei­chen schwarz-wei­ße resp. schwarz-weiß-rote Federn. Die Füh­rer beklei­de­ten sich mit schwarz-weiß-roter Schär­pe und grü­nem Hut mit ein­fa­cher Feder. Zu bedau­ern ist jeden­falls, daß man hier nicht ein für alle­mal eine bestimm­te Klei­dung fest­setzt und sich gar zu sehr von der Mode bestim­men läßt. So hat­ten z. B. im Jah­re 1900 in der Zeit des Buren­krie­ges sämt­li­che Füh­rer Hüte in Form der Buren­hü­te auf­ge­setzt.

Zu den ori­gi­nells­ten und cha­rak­te­ris­tischs­ten Per­so­nen des Grenz­gangs gehö­ren ohne Fra­ge neben dem Mohr die von den Füh­rern zu wäh­len­den Wett­läu­fer. Lei­der läßt sich nicht mehr mit Sicher­heit der Ursprung und der Zweck der­sel­ben fest­stel­len. Heu­te die­nen sie zum Ueber­brin­gen von Bot­schaf­ten und Anord­nun­gen der Obers­ten und Füh­rer. Es steht zu ver­mu­ten, daß sie frü­her ähn­li­chen Zwe­cken gedient haben. Die ori­gi­nel­le Tracht – wei­ße Hosen, blaue oder rote Jacken, brau­ne Schnür­schu­he, Barett mit schwarz-weiß-roten Strauß­fe­dern und die unver­meid­li­che Peit­sche – las­sen die Wett­läu­fer von allen sehr abste­chen und machen sie dadurch zu den meist beäug­ten Per­so­nen, beson­ders für die frem­den Besu­cher des Grenz­gangs.

Eben­so geht es mit dem Mohr. Die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des­sel­ben ist eben­so dun­kel wie er selbst. Wenn man den Ueber­lie­fe­run­gen Glau­ben schen­ken darf, so müs­sen die alten Bie­den­köp­fer arge Schal­ke gewe­sen sein. Es wird erzählt, daß wenn die Bie­den­köp­fer Grenz­gang gehabt hät­ten, wären die Nach­bar­ge­mein­den an der Gren­ze mit­er­schie­nen, um auf­zu­pas­sen, daß sel­be nicht gar zu sehr berich­tigt wür­de. Um die­se läs­ti­gen Beob­ach­ter los zu wer­den, wären die Bie­den­köp­fer auf den Gedan­ken gekom­men, einen Mann als Mohr ver­klei­det dem Zug vor­aus zu schi­cken. Die Land­leu­te, die in ihrem Leben noch kei­nen Schwar­zen gese­hen, hät­ten den­sel­ben in ihrer Her­zens­ein­falt für den leib­haf­ti­gen Teu­fel gehal­ten und schleu­nigst Reiß­aus genom­men. Die schlau­en Bie­den­köp­fer hät­ten dann die Gren­ze in ihrem Sin­ne berich­tigt. Kost­bar ist das Geschicht­chen jeden­falls, und wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfun­den. Daß man zu den Wett­läu­fern sowie auch zum Mohr eben­so anstän­di­ge wie auch kör­per­lich takt­fes­te Leu­te nimmt, ist natür­lich, denn die Anstren­gun­gen der drei Tage sind sol­che, die nicht Jeder­mann aus­zu­hal­ten im Stan­de wäre.

Etwas spä­ter wie die Bur­schen erschei­nen die Män­ner auf dem Pla­ne, um ihre Vor­be­rei­tun­gen für das Fest zu tref­fen. Sel­be tre­ten jedoch nicht gleich den Bur­schen zu belie­bi­gen Ver­ei­ni­gun­gen zusam­men, son­dern nach altem Brauch in abge­schlos­se­nen Stra­ßen. Gewöhn­lich nimmt der alte Füh­rer vom letz­ten Grenz­gang die Sache in die Hand und ladet die Bür­ger der betref­fen­den Stra­ße zur ers­ten Sit­zung ein. Hier kürt man eben­falls die Füh­rer, Fah­nen­trä­ger und Beglei­ter und zwar zu letz­te­ren Pos­ten meist die jüngs­ten Män­ner.

Auch bei den Män­nern geht es urge­müt­lich her und es ist oft ergötz­lich anzu­schau­en, wie man­cher alte Gries­gram, der sonst jahr­aus jahr­ein nicht aus sei­nen vier Pfäh­len kommt, urplötz­lich anfängt auf­zu­tau­en. Gera­de in den Män­ner­sit­zun­gen zeigt sich recht die schöns­te Sei­te des Grenz­gangs. Da sieht man Arm wie Reich, Bür­ger und Beam­te in gesel­li­gem Durch­ein­an­der, und alle Stan­des­un­ter­schie­de, die sonst im Leben so oft hem­mend wir­ken, sind hier ver­wischt.

Ori­gi­nell sind eini­ge Gebräu­che, die sich hier und da bei den Män­nern erhal­ten haben, so z. B. der „Fah­nen­eid“! Der ers­te Füh­rer for­dert die in den letz­ten sie­ben Jah­ren zur Stra­ße hin­zu­ge­kom­me­nen Män­ner auf, die vom ältes­ten Man­ne gehal­te­ne Fah­ne zu berüh­ren, um damit dar­zu­tun, daß sie der­sel­ben Treue gelo­ben. Wäh­rend der halb fei­er­li­chen, halb spa­ßi­gen Zere­mo­nie hält der Füh­rer eine ent­spre­chen­de Anspra­che. Genau wie bei den Bur­schen, gibt es auch bei den Män­nern Offi­zie­re oder Rei­ter. Die Tracht der­sel­ben ist ähn­lich der der Bur­schen­rei­ter, nur mit dem Unter­schie­de, daß hier statt hell­blaue, schwarz-weiß-rote Schär­pen getra­gen wer­den. Auch bei den Männ­erfüh­rern ver­hält es sich ähn­lich.

Unter­des­sen, da sich die Bür­ger­schaft über­all zum Fes­te rüs­tet, hat auch das Komi­tee sei­ne Arbei­ten emsig wei­ter­ge­spon­nen. Man­cher, der den Grenz­gang von A bis Z mit­ge­macht hat und alle Ein­zel­hei­ten nach dem Schnür­chen sich abwi­ckeln sieht, denkt viel­leicht zu aller­letzt an die Sum­me von Arbei­ten und Mühe­wal­tun­gen, die das Komi­tee gehabt hat, ehe alles in so schö­ner Wei­se „klapp­te“! Da müs­sen die Plät­ze auf dem Fest­platz ver­pach­tet wer­den, dort muß mit aus­wär­ti­gen Schau­stel­lern kor­re­spon­diert wer­den, hier muß die Fest­ord­nung fest­ge­stellt, dann auch für die Aus­schmü­ckung der Stra­ßen Sor­ge getra­gen wer­den. Wei­ter kom­men die finan­zi­el­len Fra­gen, die Fra­ge um das Feu­er­werk usw. usw. Da nun das Komi­tee die Lei­te­rin des Gan­zen ist, so müs­sen auch noch die dau­ernd auf­tre­ten­den Fra­gen sei­tens der Füh­rer, Män­ner und Bur­schen­schaf­ten erle­digt wer­den und daß da man­che Sit­zung not­wen­dig ist, ist wohl begreif­lich. Die vor­nehms­te Sit­zung dürf­te viel­leicht die­je­ni­ge sein, in wel­cher der Män­ner­o­berst gewählt wird. Nicht, wie bei den Bur­schen, die Füh­rer, son­dern das Komi­tee wählt den Oberst der Män­ner. Da die­ser das Ober­haupt des gan­zen Grenz­gan­ges ist, so ist es wohl natür­lich, daß das Komi­tee mit größ­ter Sorg­falt bei der Wahl des­sel­ben ver­fährt. Daß man bei den letz­ten Grenz­gän­gen die rich­ti­gen Män­ner an rich­ti­ger Stel­le zu set­zen gewußt hat, beweist das vor­züg­li­che Gelin­gen der Fes­te.

End­lich nach lan­gem Har­ren und Seh­nen und nach man­cher feucht-fröh­li­chen Sit­zung kommt die Zeit her­an. Die Wit­te­rungs­ver­hält­nis­se wer­den schon wochen­lang beob­ach­tet und wenn, wie im Jah­re 1894, dau­ern­des Regen­wet­ter vorm Grenz­gang ist, sinkt lang­sam die hoff­nungs­vol­le Stim­mung.

Eif­rig geht man ein paar Tage vor­her an die Aus­schmü­ckung der Stra­ßen; beson­ders ist hier die Frau­en­welt bemüht zu zei­gen, wie sehr ihnen eben­falls der Grenz­gang ans Herz gewach­sen ist. In den Höfen und vor den Türen sieht man sie bis tief in die Nacht sit­zen und unter ihren geschick­ten Hän­den ent­ste­hen bald die end­lo­sen, zum Schmuck so not­wen­di­gen Laub­ge­win­de. Auch die Mit­glie­der des Komi­tees haben alle Hän­de voll zu tun, denn es ist kei­ne Klei­nig­keit, den Wün­schen Aller Rech­nung zu tra­gen. Wenn der Vor­abend naht, ist die gan­ze Stadt in einen Wald ver­wan­delt und rich­ti­ge Grenz­gang­stim­mung hat alle erfaßt.

Bald ertönt die ers­te Musik von den Markt­plät­zen und vie­le strö­men dort­hin, um sich an den lus­ti­gen Wei­sen zu ergöt­zen. Die Wirt­schaf­ten rings­um sind über­füllt und beson­ders die mit bun­ten Lam­pi­ons gezier­ten Bal­ko­ne, von wo aus die dunk­le Nacht zuwei­len durch ben­ga­li­sches Feu­er erhellt wird. Still und stil­ler wird es dann rings­um und alles hat sich zur Ruhe bege­ben; aber die meis­ten wer­den nicht schla­fen kön­nen in Erwar­tung der kom­men­den Tage.

Da kracht der ers­te Böl­ler­schuß vom alten Schloß­berg nie­der und schreckt alle vom Lager auf. Der ers­te Blick fällt durchs Fens­ter nach dem Wet­ter, ist es güns­tig, wird man sich fröh­lich zum Fes­te rüs­ten, ist es aber, wie 1894 ein Grenz­gangs­dich­ter singt:

„Wei­te Nebel grau und dicht
Die kein Son­nen­strahl durch­bricht“

wird man miß­mu­tig die Fens­ter schlie­ßen und schlecht gelaunt den Tag begin­nen. Ja, lie­ber Leser, auch der Grenz­gang hat sei­ne Dich­ter gefun­den und zwar 1872 hat Frau Ellen­ber­ger den­sel­ben besun­gen und auch 1894 hat der jet­zi­ge Bür­ger­meis­ter Grü­ne­wald nach Art der Schil­ler­schen Glo­cke den Grenz­gang ver­herr­licht.

Bald dringt Peit­schen­knal­len an unser Ohr und unse­re Bli­cke hän­gen unwill­kür­lich an den vor­bei­sau­sen­den Wett­läu­fern und dem Mohr. Die Tam­bou­re schla­gen in gleich­mä­ßi­gem Tem­po den Weck­ruf, und nach und nach wird es über­all leben­dig. Män­ner und Bur­schen eilen ihren Ver­samm­lungs­stel­len zu, und bald sieht man auch die Bur­schen­schaf­ten mit ihren Ban­nern nach dem Markt­plat­ze, als dem Haupt­auf­stel­lungs­or­te, mar­schie­ren, wo die Füh­rer dem har­ren­den Haupt­mann sofort Mel­dung von ihrem Erschei­nen machen. Wäh­rend von der einen Sei­te unter rau­schen­der Musik das Ban­ner der Stadt her­an­ge­tra­gen wird, wer­den von der Schu­le her die lie­ben Klei­nen her­an­ge­führt, alle in fest­li­chen Klei­dern und mit glück­se­ligs­ten Gesich­tern. Am Arme hän­gen die Bre­zeln, auf die sie sich mehr gefreut haben, wie auf das Christ­kind­chen. Jeden­falls ist die­ses Bild eines der lieb­lichs­ten des Grenz­gan­ges.

Plötz­lich hören wir aus den Bur­schen­schaf­ten das Kom­man­do: „Still­ge­stan­den!“ und alle Augen rich­ten sich da hin, wo der Bur­schen­oberst, umge­ben von sei­nen Adju­tan­ten und Offi­zie­ren, her­an­ge­sprengt kommt. Guten Mor­gen, Bur­schen! Guten Mor­gen, Herr Oberst! klingt es mili­tä­risch, und alle rei­hen sich sodann ein.

Wäh­rend des­sen haben sich auch die Män­ner gesam­melt, und man erwar­tet jetzt das Ober­haupt, den Män­ner­o­berst. Nicht lan­ge läßt er auf sich war­ten; ein­ge­holt vom Komi­tee und eben­falls umge­ben von sei­nen Adju­tan­ten und Offi­zie­ren, hält er unter Trom­pe­ten­ge­schmet­ter sei­nen Ein­zug, von allen Sei­ten leb­haft begrüßt. Die Auf­stel­lung ist damit been­det, und wenn dann die Früh­son­ne ihre glit­zern­den Strah­len über den Markt­platz wirft, ent­steht ein far­ben­präch­ti­ges Bild, wel­ches allen, die es gese­hen, unver­ges­sen blei­ben wird.

Der Män­ner­o­berst gibt das Zei­chen zum Abmarsch und der Zug bewegt sich zunächst durch die Ober­stadt, um sich dann noch­mals auf dem Markt­platz im Krei­se auf­zu­stel­len, wo der Bür­ger­meis­ter die übli­che Anspra­che, wel­che mit einem Hoch auf den Kai­ser endigt, hält.

Dann geht der Zug die Hain­stra­ße ent­lang nach der Lud­wigs­hüt­te, wo dicht hin­ter der­sel­ben der Grenz­auf­stieg beginnt. Steil und müh­sam ist der Weg, und wer schlech­te Füße und eine schlech­te Brust hat, tut gut, sich denen anzu­schlie­ßen, die auf Streck­we­gen zu dem Früh­stücks­platz, dem „Thäl­ches Tri­esch“, gelan­gen. Die gan­ze Rei­te­rei hat erklär­li­cher­wei­se eben­falls Streck­we­ge aus­ge­sucht und sind der­halb­en die Obers­te nicht im Stan­de, ihre Leu­te zu mus­tern; über­rascht wür­den sie auch sein, wenn sie das zusam­men­ge­schmol­ze­ne Häuf­lein zu Gesicht bekä­men. Wenn auch man­cher aus Reih und Glied ver­schwin­det, aber das Ban­ner muß mit über die Gren­ze, so will es ein­mal der alte Brauch.

Nach lan­ger Wan­de­rung end­lich zei­gen Rauch­wölk­chen an, daß man den Früh­stücks­platz erreicht hat und ein Hur­rah der durs­ti­gen Keh­len begrüßt sel­ben auf’s Freu­digs­te. Das Leben und Trei­ben, das sich hier ent­wi­ckelt, ist äußerst inter­es­sant. Sze­nen von sol­cher Gemüt­lich­keit und sol­chem köst­li­chen Humor spie­len sich hier ab, die man wohl sehen, aber nicht beschrei­ben kann. Schon um die­se Früh­stücks­mor­gen im herr­li­chen Wal­de wäre der Grenz­gang wert, immer gefei­ert zu wer­den.

Hier drau­ßen voll­zieht sich das dem Grenz­gang so cha­rak­te­ris­ti­sche „Wider­hupp­chen“, das heißt das Zei­gen des Grenz­steins durch Mohr und Wett­läu­fer. Unter Trom­mel­schlag wird das Opfer zum Grenz­stein geführt und hier macht es mit dem­sel­ben durch drei­ma­li­ges sanf­tes Berüh­ren Bekannt­schaft. Daß man hier­zu nur sol­che wählt, bei denen im Geld­beu­tel der Grenz­stein ziem­lich weit hin­aus­ge­rückt ist, ist leicht begreif­lich, wenn man bedenkt, daß die genann­ten drei für ihre Mühe­wal­tung mit einem Obo­lus belohnt wer­den. Der Ursprung des „Wider­hupp­chens“ ist eben­falls recht schwer nach­zu­wei­sen. Die oben schon mehr­fach erwähn­te Abhand­lung gibt uns ja eini­ge Fin­ger­zei­ge, aber trotz­dem bleibt die Sache nebel­haft. Es wird ange­nom­men, daß man die Kna­ben an die Grenz­stei­ne geführt hat, um ihnen die­sel­ben zu zei­gen und hier­bei erhielt jeder drei Backen­strei­che, damit der Stand der Stei­ne nicht in Ver­ges­sen­heit kom­men soll­te. Das „Wie­der­hupp­chen“ soll die Andeu­tung jenes alten Brau­ches sein.

All­zu lan­ge darf der Auf­ent­halt auf dem Früh­stücks­plat­ze nicht dau­ern, will man zur rich­ti­gen Zeit zu Hau­se sein. Wei­ter geht es also neu­ge­stärkt über Berg und Tal, bis man end­lich um Mit­tag die Stadt erreicht.

Gegen 2 Uhr beginnt die Auf­stel­lung von neu­em und zwar ähn­lich wie mor­gens. Doch glän­zen­der wird der Zug dadurch, daß dies­mal die in Fest­schmuck pran­gen­de jun­ge Damen­welt sich dar­an betei­ligt. Vor­wärts mit wehen­den Fah­nen geht es dann nach dem Fest­platz, dem „See­wa­sen“. Hier ist für alles gesorgt: Wirt­schaf­ten, Metz­ger, Schau­bu­den, Tanz­bö­den, Karous­sell, kurz alles, was jung und alt erfreu­en kann. Doch um 10 Uhr abends ist Schluß, denn am ande­ren Mor­gen heißt es früh wie­der auf.

In der Däm­mer­stun­de wird unser Auge noch­mals gefes­selt durch das herr­li­che Feu­er­werk am Schloß­berg. Rake­ten und römi­sche Leucht­ku­geln stei­gen vom alten Schloß empor, und bald ist der gan­ze Berg in ein Feu­er­meer ver­wan­delt, wel­ches wal­lend und wogend in allen Far­ben wech­selt und bei allen einen unaus­lösch­li­chen Ein­druck zurück­läßt.

Der zwei­te Grenz­gangs­tag, wo die ande­re Hälf­te dies­seits der Lahn began­gen wird, voll­zieht sich genau wie der ers­te. Groß­ar­tig ist das Bild, wenn der Zug den Eschen­berg ent­lang mar­schiert. Das Leben auf dem Früh­stücks­platz, der „Hasen­hardt“, sowie auch am Nach­mit­tag auf dem Fest­platz ist genau wie am ers­ten Tag.

Auch am drit­ten Tage, wo die Bege­hung der Gren­ze jen­seits der Lahn vor­ge­nom­men wird, wickelt sich alles ähn­lich den bei­den vor­her­ge­gan­ge­nen Tagen ab. Nur kann man beob­ach­ten, daß der Zug beson­ders am Mor­gen bedeu­tend schwä­cher gewor­den ist, ein Beweis, daß vie­len die Stra­pa­zen doch zu groß sind. Von dem Früh­stücks­plat­ze, dem „Hüge­li­gen Tri­esch“, geht es dem Schluß der Gren­ze zu. Am letz­ten Grenz­stein hält der Män­ner­o­berst eine kur­ze Anspra­che und dann geht es nach der Stadt, um am Nach­mit­ta­ge unter fröh­li­chem Zusam­men­sein den Grenz­gang zu beschlie­ßen.

Am ande­ren Tag, einem Sonn­tag, hat jeder Gele­gen­heit, aus­zu­schla­fen. Aber am Nach­mit­tag und Abend kommt man wie­der zusam­men, um die Erleb­nis­se der drei Tage gegen­sei­tig aus­zu­tau­schen. Alle sind sich einig, daß es schön war und alle wün­schen, daß der Grenz­gang erhal­ten blei­be.

Und auch wir, freund­li­cher Leser, die wir über Stock und Stein, berg­auf und berg­ab mit­ge­wan­dert sind, die wir auf den Früh­stücks­plät­zen und dem Fest­platz uns der ein­träch­ti­gen Fröh­lich­keit mit hin­ge­ge­ben haben, schlie­ßen uns die­sen Wün­schen von Her­zen an. Möge der Grenz­gang Bie­den­kopf immer erhal­ten blei­ben, denn, wo in einer Bevöl­ke­rung noch Sinn und Anhäng­lich­keit für das Alt­her­ge­brach­te ist, da ist auch noch Lie­be zur Hei­mat vor­han­den und in die­ser lie­gen die star­ken Wur­zeln zur Hin­ga­be an das gro­ße gemein­sa­me Vater­land. Die­se Hin­ga­be zu hegen und zu pfle­gen, ist die Pflicht eines Jeden, denn sie tut nir­gends nöti­ger wie in unse­rer wild­gäh­ren­den Zeit.